



















Meinen allerersten Text für eine Agentur habe ich 1987 als Volontärin geschrieben. Bis zum nächsten Tag sollte ich die verstaubten Briefe einer Hamburger Versicherung, in denen sie Kunden über den Ablauf ihrer Lebensversicherung informierte, freundlicher machen. Unter Werbetexten hatte ich mir etwas anderes vorgestellt. Ich war 22 und neu in Hamburg.
Wie sollte ich bloß über etwas so Einschläferndes schreiben?
Das streng komponierte Loft der Agentur lag am Rödingsmarkt. Von meinem geräumigen Interlübke-Schreibtisch aus sah ich die Hochbahn Richtung Hafen vorbeischweben. Die afghanischen Windhunde der Chefin lümmelten auf dem feucht glänzenden Granit, als sei ihnen die Erinnerung an das Hochland des Hindukusch abhanden gekommen. Unbeteiligt sahen sie zu mir auf, als ich den Arm der Tizio herumschwenkte und den Leuchtkopf auf meine Notizen ausrichtete. Da stand nichts. Der Monitor des Macintosh SE flackerte bläulich. Zum x-ten Mal überflog ich den an einen sehr geehrten Bezugsberechtigten adressierten Brief, in dem von Leistungszusage im Erlebensfall die Rede war, von Überschussbeteiligung und Auszahlungswunsch.
Worum es ging, hatte ich verstanden, doch wo kam ich ins Spiel?
Ich stand auf und beugte mich zu der hellgrauen Windhunddame runter. Sie hieß Yohji, benannt nach einem japanischen Bekleidungsunternehmer, für dessen dunkle und dramatische Sachen die Chefin damals eine Vorliebe hatte. Langes, seidiges Haar fiel Yohji in die Augen und ihr Blick wurde weich, als ich ihre Mähne beseite schob und sie hinterm Ohr kraulte. Yohji hatte eine Schwäche für mich. Afghanen sind sensibel.
Schnurr die Aufgabe zusammen!
Ich leinte sie an und wir drehten eine Runde. Schwerelos federte sie neben mir übers Kopfsteinpflaster der Deichstraße, das Haarkleid weich und fließend wie Materialien und Schnitte ihres Namenspaten. In Yohjis Haltung lag für mich der Inbegriff von Ruhe und Eleganz, von Symmetrie und Schönheit. Genauso wollte ich schreiben. Yohjis Vorfahren hatten in der Steppe Schakale gejagt, Gazellen, Falken und anderes Wild. Yohji wusste das. Sie blieb stehen, sah mich aufmerksam an, den Glanz von Wahrheit in den Augen, und sagte plötzlich ohne ihre übliche Unbedarftheit: „Schnurr die Aufgabe zusammen und konzentrier dich auf den einen Moment, für den du Leidenschaft empfindest. Und dann, blas dein Halali!“
Die Jagd beginnt
Ich habe immer an Yohjis geistige Überlegenheit geglaubt. Zurück im Büro, nur kurze Zeit später, rannten meine Finger bereits wie von selbst über die Tasten. Die Jagd nach Wörtern hatte begonnen.
Mein Storytelling macht sichtbar, was du sagen und zeigen willst. Zu fast jedem Thema hat vor dir schon ein anderer Autor etwas geschrieben. Vermutlich sogar etwas Zündenderes, als es dir heute an deinem ersten Schreibtag einfallen würde. Macht gar nichts! Stell dir das Schreiben zunächst als ein Dickicht vor. Noch weißt du nicht, welche Richtung du einschlagen wirst. Um dir deinem Weg aus dem Urwald frei zu hauen, musst du als Erstes das Versteck der Machete finden. Die Machete? Ja, das lange, gebogene Messer in deinem Kopf – das Werkzeug für klares, scharfes Denken.
Beim Schreiben geht es nicht alleine um die Wörter. Schreiben ist eine Haltung. Worte spiegeln lediglich die Engel und die Dämonen aus unseren Köpfen, Bäuchen und Herzen wider. Überleg dir also zunächst ganz genau, welche Einfälle zu welchem Thema du schon längst mit der Welt teilen wolltest. Notiere sie in einem Wörter-Netz. Und dann – hello, world! – schreibst du darüber. Was du denken, denkst nur du allein. Deine Gefühle sind so einzigartig wie es dein Schreiben eines Tages auch sein wird, wenn du diesen Hinweisen folgst.
Schreiben ist keine 9-to-5 Tätigkeit, sondern lebenslange Mission. Wer gutes Schreiben lernen will, ob als Werbetexter oder als Schriftsteller, darf seine Machete keinen Rost ansetzen lassen. Du solltest sie mehrere Stunden täglich gebrauchen. Schreiben ist 90% Herzblut und 10% Handwerk. Sei mutig. Denke drauflos. Meide Worthülsen, Plattitüden und Klischees. Nur mit der genau richtigen Mischung aus Verstand, Gefühl und Intuition wirst du die große Lichtung finden. Den Ort, wo wir Schreiber unsere Ideen holen.